Raus aus meiner Komfortzone

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Raus aus meiner Komfortzone Mein «Zero Waste»-Experiment

Von Laila Gutknecht

«Zero Waste» – also Null Müll – heisst die Bewegung, deren Ziel es ist, möglichst abfallfrei zu leben. Von Social Media kenne ich Menschen, die strahlend ein gefülltes Einmachglas mit dem Müll eines gesamten Jahres präsentieren. Ich bin ganz ehrlich: Die Bilder schrecken mich ab. Meine Vorurteile? «Zero Waste» ist zu zeitintensiv, zu umständlich, zu viel Verzicht. Ich würde meinen Lebensstil als mittelmässig nachhaltig bezeichnen. Als nicht-autofahrende Vegetarierin bin ich auf das Thema sensibilisiert. Ich benutze Thermos- und Glasflaschen, habe ein Recycling-Abo, trenne zudem Papier, Karton und Grüngut. Dennoch produzieren wir in unserem Zwei-Personen-Haushalt mit zwei Hauskatzen etwa einen 35-Liter Sack Müll pro Woche. Woraus besteht denn eigentlich der Müll? Was könnte einfach vermieden werden?

  • Richtig hinsehen!

    Ich starte einen zweiwöchigen Selbstversuch. In der ersten Woche sammle ich alles, was in meinem Abfallsack landet. Ziel ist es, den Inhalt anschliessend zu analysieren und nach bestimmten Kriterien zu kategorisieren. In der zweiten Woche versuche ich, dank der Erkenntnisse aus der ersten Woche gänzlich nach «Zero Waste» zu leben. Unterstützt werde ich dabei von Tara Welschinger. Sie ist Inhaberin zweier Unverpackt-Läden in Zürich, dem «Foifi» und dem «Zollfrei». Ich treffe Tara nach der ersten Woche zu einem Gespräch und zur Inspektion meines Müllsacks.

Umdenken und Verzicht

Es ist mir nicht ganz wohl, als Tara beginnt, im Müllsack zu wühlen. Gemeinsam verlesen wir den Müll nach den Kategorien «Vermeidbares» und «Unvermeidbares». Das Vermeidbare teilen wir weiter ein in: «Umdenken» oder «Verzicht». Der Haufen mit dem unvermeidbaren Müll umfasst unter anderem Futterverpackungen meiner Katzen, die Plastikverpackung des Toilettenpapiers, eine Mayonnaise-Tube und einen einzelnen, verwaisten Handschuh. Beim vermeidbaren Müll sind die Haufen für «Verzicht» und «Umdenken» etwa gleich gross.

«Praktisch alles kann ersetzt werden. Dazu ist aber ein Umdenken nötig und das kann anfangs anstrengend sein», erklärt mir Tara. Sie zeigt mir Shampoo am Stück, kompostierbare Zahnseide, Wachspapier, Wattestäbchen aus Holz. Zudem macht sie mich auf diverse Lebensmittel und Haushaltsprodukte zum Auffüllen aufmerksam. Sie plädiert dafür, mehr selber zu machen statt zu kaufen, nicht mehr gebrauchte Waren wiederzuverwerten oder weiterzugeben. Doch obwohl vieles ersetzt werden kann, ist Verzicht ein grosser Teil des Ganzen. Einige Dinge aus meinem Müll nimmt sie zur Hand und erklärt fast wehmütig, dass sie diese früher auch geliebt habe und gedankenlos konsumierte. Heute undenkbar; denn die Schokolade enthält Palmöl, der Frischkäse ist in Plastik und die Bonbons in der Alubox verpackt.

Der Ressourcen-Kreislauf

Der Kreislauf der Ressourcen ist für Tara zentral: Zwar habe die Schweiz ein fortschrittliches Abfallverbrennungssystem, es bleibe jedoch immer eine Schlacke aus unverbrennbaren Giftstoffen übrig. Dabei geht es ihr auch um Ethik: «Was verbrannt wird, ist einfach weg. Es kann nichts Neues daraus entstehen.» Auch Recycling findet Tara problematisch: «Es gibt dir zwar ein gutes Gefühl, aber du gibst damit die Verantwortung ab.» Was tatsächlich recycelt werden kann und wird, wissen die Konsumierenden selten. «Wir verknüpfen unser eigenes Verhalten nicht mit den Problemen dieser Welt», erklärt Tara. Mit diesen Worten in den Ohren und mit einigen Alternativ-Produkten in der Tasche, verlasse ich das Ladenlokal, bereit für den zweiten Teil meines Experiments.

 

Auf’s Minimum reduziert

Es folgt eine zweite Woche mit vielen Momenten der Ratlosigkeit; aber auch vielen positiven Überraschungen. Der Blick auf meinen Müll zeigt: Ich habe es geschafft, ihn auf ein Minimum zu reduzieren. Eine Konstante besteht aus dem von Tara als «unvermeidbar» klassifizierten Katzenfutter. «Haustiere zu haben ist eine Entscheidung», meinte sie. «Genauso wie Kinder. Da ist mehr Müll unvermeidbar».  Ich habe diese Woche in Unverpackt-Läden eingekauft, vieles vorbereitet und wiederverwertet.  Ich habe jedoch auch auf vieles verzichtet und einige Male auswärts gegessen, weil die Zeit zu knapp, das Energielevel zu tief und die Ideen nicht ausreichend waren, um zu Hause zu kochen. Am Ende der Woche komme ich zur Erkenntnis: «Zero Waste» und Spontanität verträgt sich nicht. Es ist viel Planung nötig. Beispielsweise musste ich mich zuerst daran gewöhnen, immer eigenes Geschirr dabei zu haben.

Verzicht, der schmerzt

Am schwierigsten war der Verzicht: Lebensmittel wie Käse sind in der Filiale unseres Grossverteilers nicht an der Frischtheke erhältlich. Ersatzprodukte, die ich als Vegetarierin ab und an schätze, gibt es grundsätzlich nicht unverpackt, pflanzliche Milch nur im Tetrapack. Der Verzicht auf diese Lebensmittel schmerzte mich mehr, als ich es mir eingestehen will. An einem Tag kaufte ich Schokolade fair und unverpackt und bezahlte ein kleines Vermögen dafür. Doch: Der Genuss war bewusster und die Wertschätzung grösser. Aber ob ich dies künftig in meinen Alltag integrieren kann oder ob die Liebe zu meiner Lieblings-Supermarkt-Schokolade doch grösser ist, wird sich zeigen.  Anders sieht es mit den Grundnahrungsmitteln aus, die ich schon vor dem Experiment in Glasbehältern aufbewahrte. Ich nehme mir fest vor, diese fortan monatlich beim Einkauf im «Unverpackt»-Laden aufzufüllen. Dies gilt auch für Lebensmittel, die lange halten wie Gewürze oder Tee, aber auch Haushaltsprodukte wie Wasch- oder Spülmittel. Die Preise dafür sind ein wenig höher – aber das ist es mir wert.

  • Entdeckungen und Entschleunigung

    Positiv überrascht war ich von meinen neu erstandenen Kosmetikprodukten: Das Seifen-Shampoo gefällt mir sogar besser, als mein herkömmliches Produkt. Die kompostierbare Zahnseide ist von überzeugender Qualität. Sogar das Ohrstäbchen aus Holz empfinde ich als genauso angenehm und praktisch wie sein konventionelles Pendant aus Baumwolle. Darüber hinaus stellte sich nach ein paar Tagen ein Entschleunigungs-Effekt ein. Den Kaffee trank ich zu Hause oder im Café statt unterwegs. Ich nahm mir mehr Zeit beim Einkaufen, entdeckte neue Orte und konsumierte bewusster.

Geteilte Verantwortung

Nach all den Erfahrungen muss ich zugeben: Ich war erleichtert, als die Woche ein Ende nahm. Das ständige Kreisen meiner Gedanken um das Essen, habe ich als sehr anstrengend empfunden. Manchmal hatte ich das Gefühl, gar nichts mehr richtig machen zu können. Ich frage Tara, wie sie es schafft, so optimistisch zu bleiben. Sie antwortet mir: «Ich trage nicht allein die Verantwortung für die Welt auf meinen Schultern. Ich mache einfach das Beste, was mir möglich ist in meiner Welt». Dieser Gedanke erhellt auch mein Gemüt.  Denn ich bin sicher, dass es sich mit unserer Müllproduktion ähnlich verhält wie mit anderen gesellschaftlichen Problemen: Es ist effektiver, wenn viele Menschen ihren Müll ohne Anspruch auf Perfektion reduzieren, als wenn es nur einige wenige tun, dafür aber fehlerlos.

Tara sieht den Verzicht nicht als Mangel, sondern als kreativen Prozess. Bis ich ebenfalls soweit bin, wird es wohl noch etwas dauern. Unter dem Strich bleibt dennoch ein gutes Gefühl. Nach dieser Woche werde ich nicht auf «Zero-Waste» umsteigen. Doch ich habe viel Neues gelernt und Dinge entdeckt, die für mich gut funktionieren und meinen Abfall deutlich reduzieren. Auch kleine Schritte sind Schritte.

Über Tara Welschinger

Taras Umstellung auf «Zero Waste» nimmt 2015 bei einer Reise in Südostasien ihren Anfang. Sie ist schockiert vom omnipräsenten Abfall und der immensen Brände zur Palmöl-Gewinnung. Sie beginnt zu recherchieren, ihren Konsum zu hinterfragen und zu reduzieren; innerhalb weniger Monate stellt sie ihr komplettes Leben um und möchte nun andere dabei unterstützen, Vorurteile loszuwerden und Alternativen zu entdecken. Mit ihren Unverpackt-Ladenlokalen «Foifi» und «Zollfrei» schaffte sie Orte, an denen alles auf einmal geht: nachhaltig, fair, bio und plastikfrei. Es sind Begegnungsräume, in denen sich Menschen über Nachhaltigkeitsthemen austauschen und sich inspirieren lassen können, ressourcen-leichter zu leben.