«Es ist schwierig, perfekt nachhaltig zu leben»

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Sandra steht links und Anina steht rechts vor einem DXP der Post. Beide lächeln in die Kamera. Anina hält ihren kleinen schwarzen Hund Pax an der Leine.

Sandra steht links und Anina steht rechts vor einem DXP der Post. Beide lächeln in die Kamera. Anina hält ihren kleinen schwarzen Hund Pax an der Leine.

«Es ist schwierig, perfekt nachhaltig zu leben»

Ihre Leben könnten nicht unterschiedlicher sein: Sandra ist 45 Jahre alt, Zustellerin bei der Post, Mutter eines Sohnes und lebt mit ihrer Familie in einem Reihenhaus. Anina lebt in einer 2-Zimmer-Wohnung in der Stadt, ist Mama des kleinen Tierheimhundes Pax und hat sich in der Schweiz einen Namen als Influencerin gemacht.

Was die beiden Frauen aber gemeinsam haben, ist ihr Bewusstsein für ein nachhaltiges Leben. Wir wollten von ihnen wissen, wieso ihnen Nachhaltigkeit wichtig ist und wie sie Nachhaltigkeit in ihrem Alltag integrieren. Was die beiden neben ihrer Liebe für Pro Specie Rara Pflanzen noch gemeinsam haben, erfahren Sie im Interview.

Warum lebt ihr nachhaltig?

Sandra: Ich möchte meinem Sohn und den nachfolgenden Generationen keinen Abfallkübel hinterlassen. Das ist für mich die grösste Motivation.

Anina:  Mega schön, dass du dieses Bewusstsein hast! Ich bin schon sehr bewusst aufgewachsen, mitten in der Natur, mit Eltern, die mir gewisse Aspekte bereits mitgegeben haben: Dinge wie, werfe keinen Müll auf den Boden, sei lieb zu Tieren, oder schätze, was du an der Natur hast. Je älter ich geworden bin, umso mehr Fragen habe ich mir dann auch gestellt. Wie kann es zum Beispiel sein, dass ich mich vegan und biologisch ernähre, aber noch nie in meinen Kleiderschrank geschaut und mein Konsumverhalten hinterfragt habe. So habe ich mich durch alle Lebensbereiche getastet. Je mehr ich weiss, umso weniger kann ich zurück. Ich kann es einfach nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, egoistisch zu sein und nicht an die Zukunft unseres Planeten zu denken.

Wenn ihr euch selber auf einer Skala von eins bis zehn einschätzen müsstet: Wie nachhaltig lebt ihr tatsächlich?

Sandra: Das ist Ansichtssache. Aus der Sicht von anderen haben meine Familie und ich vielleicht eine fünf. Ich würde uns eine achtgeben.

Anina: Ich glaube auch, dass es darauf ankommt, was der Massstab ist. Im Vergleich zu «Ottonormalverbraucherin» bin ich sicher am oberen Ende der Skala einzuordnen, weil ich mich einfach schon lange mit dem Thema beschäftige und bei mir gewisse Abläufe selbstverständlich sind. Andere Menschen müssen sich da sicher erstmal reinfinden. Ich glaube aber, dass wir in Sachen Nachhaltigkeit zurzeit gar keine Zehn erreichen können, weil Perfektion, nur schon durch die äusseren Umstände, nicht zu erreichen ist.   Die Struktur unserer Gesellschaft ist per se nicht für ein nachhaltiges Leben aufgebaut. Genau deswegen braucht es auch einen tiefgreifenden Systemwandel.

Zustellerin Sandra aus Zürich im seitlichen Profil in ihrer grauen Postuniform. Sie hat schulterlange rötliche Haare und trägt eine Brille.

Was habt ihr in euren Leben geändert, um nachhaltiger unterwegs zu sein? Was sind vielleicht auch eure grössten Marotten in Bezug auf Nachhaltigkeit?

Sandra: Bei mir hat das eigentlich mit meinem Garten angefangen. Ich habe mich einfach irgendwann immer mehr damit auseinandergesetzt, wie ich biologischer arbeiten kann. Ich bin aufgrund des Wetterumschwungs nicht dazu gekommen, vor dem Winter alles umzugraben und hab mich dann gefragt, ob das überhaupt nötig ist. Und das ist es nicht, zu Gunsten der Biodiversität. Ich habe mich dann eingelesen und heute habe ich einen tollen Garten, in dem ich mir meinen Salat mit den Schnecken teile und russische Specie Rara Gurken ernten kann. (lacht) Ausserdem bin ich auf Naturkosmetik umgestiegen, die auf Tierversuche verzichtet.

Meine grösste Marotte ist ziemlich sicher die, dass ich mein Umfeld, und vor allem auch unsere Lernenden, immer wieder darauf hinweise, wie Müll richtig getrennt wird.

Anina: Bei mir muss zum Beispiel alles biologisch sein und möglichst regional, gerade beim Essen finde ich das extrem wichtig. Ausserdem benutze ich ausschliesslich Naturkosmetik. Ich benutze kein Shampoo, das für mich oder das Abwasser giftig sein könnte. Meine Geschirrspül- und Waschmittel sind ebenfalls nachhaltig und ohne Schadstoffe produziert und mein Hund bekommt biologisches Demeter-Hundefutter. Ich kaufe mir auch fast keine neuen Kleider. Wenn, dann Secondhand oder von ausgewählten Fair Fashion Brands. Ich versuche, sehr minimalistisch zu leben und schaffe mir wenige neue Sachen an, aber wenn es doch mal sein muss, investiere ich lieber mehr, in gute langlebige Qualität. Ich reise nicht gross in der Weltgeschichte umher und fliege sehr selten.  Wenn ich in ein Flugzeug steige, dann bleibe ich längere Zeit in der Destination und kompensiere meinen Flug.

Meine grösste Marotte ist sicher mein Auto. Ich habe mir einen VW-Bus gekauft. Diesen kompensiere ich, indem ich Geld an eine Organisation zahle, die dann wiederum das Geld in Aufforstungsprojekte oder ähnliches investiert. Dadurch wird der CO2-Ausstoss meines Autos kompensiert. Das ist nicht die perfekte Lösung, kein Auto wäre sicher besser. Immerhin ist das Auto Occasion, kompensiert und ich mache, wenn Ferien, dann lokale.

Sandra: Ich habe auch ein Auto, einen Diesel, aber von einer fortschrittlichen Marke in der besten Energieeffizienzklasse. Wir fliegen auch nicht in die Ferien, sondern packen lieber unser Auto voll, nehmen dann noch Kollegen meines Sohnes mit und fahren ins Berner Oberland. Dort Campen wir dann in uralten Zeltklappanhängern.

Welche waren die ersten Schritte in ein nachhaltigeres Leben? Gab es einen Wow-Moment, der euch zum Umdenken gebracht hat?

Sandra: Also, mein Mann hat acht Jahre in der Entsorgung gearbeitet als Chauffeur. Ich habe ihn dabei oft begleitet und dabei Vieles gesehen, was ich lieber nicht gesehen hätte. Deshalb habe ich angefangen, meinen Abfall sehr genau zu trennen. Ich dachte einfach, irgendwo muss ich ja anfangen.

Anina: Ich glaube, bei mir hat das schon sehr früh angefangen. Mein erster grösserer nachhaltiger Akt war wohl der Verkauf von Lemuren-Etiketten für den WWF. Da war ich voll engagiert dabei. (lacht)

Ich halte nicht viel von dieser ‹Wegwerfgesellschaft›

Sandra Koch

Regionale Bio-Lebensmittel, fair produzierte Kleidung, Fahrzeuge mit Gas- oder Elektroantrieb: gibt es alles, hat aber seinen Preis. Braucht es ein grosses Portemonnaie, um tatsächlich nachhaltig zu leben?

Anina: Ich denke, dass man sein Konsumverhalten automatisch anpasst, wenn man sein Bewusstsein auf eine nachhaltigere Lebensweise ausrichtet. Wenn man sich selber mal genau beobachtet, merkt man schnell, wofür man sein Geld ausgibt. Nachhaltig und bewusst zu leben, bedeutet für mich auch Selbstliebe, also zum Beispiel ein bewusster Umgang mit meinem Körper. Ich verzichte zum Beispiel auf Partys mit Alkohol-Eskapaden und Zigaretten, was ja beides sehr teuer ist. Ich glaube die Quantität eines nicht bewusst nachhaltigen Lebens kann sich aufwiegen mit der Qualität eines nachhaltigen Lebensstils. Es geht halt einfach um langfristige Entscheidungen. Ja, Biolebensmittel sind im ersten Augenblick erstmal teurer, aber was ist mit deinen Gesundheitskosten im Alter? Langfristig gesehen ist eine biologische, nachhaltige Lebensweise immer eine gute Investition in unsere Umwelt, aber vor allem auch in uns selber.

Sandra: Unsere Ausgangslage ist natürlich verschieden, denn ich muss aufs Familienbudget achten. Trotzdem bin ich deiner Meinung. Es braucht einfach das Bewusstsein. Wir haben zum Beispiel einen uralten Tiefkühler, der sicher nicht mehr der ersten Energieeffizienzklasse entspricht, aber er funktioniert noch. Ich halte nicht viel von dieser «Wegwerfgesellschaft». Die Entsorgung des alten Tiefkühlers und die Produktion des neuen Tiefkühlers wiegen das, was wir an Energie sparen würden, einfach nicht auf. Deshalb brauchen wir ihn, bis er irgendwann kaputt ist, und kaufen erst dann einen neuen. So lange sparen wir auf den Neuen. Und ich bin froh, dass ich diesen Wert auch schon meinem Sohn mitgeben konnte. Er sagt von sich aus, dass er nicht immer das neuste Handy braucht, solange das alte noch funktioniert.

Bedeutet denn ein nachhaltiges Leben immer auch gleich Verzicht?

Anina: Ich persönlich empfinde das überhaupt nicht so. Wenn du natürlich all das, was du bereits hast, sofort durch Nachhaltiges ersetzen willst, wird es vielleicht schwierig. Du misst damit deinen Lifestyle an einer Konsumgesellschaft, die a) so nicht mehr lange existieren können wird und b) dir, wenn du ehrlich zu dir selber bist, auch gar nicht wirklich guttut. Die Umstellung ist vielleicht ein bisschen anstrengend, wie bei jeder anderen Veränderung auch. Am Anfang war ich zum Beispiel auch überfordert mit der rein pflanzlichen Ernährung, stand im Supermarkt und wusste nicht, was ich tun sollte. Heute funktionieren viele meiner Prozesse wie im Schlaf. Es ist einfach wichtig, dass man sich Schritt für Schritt weiterentwickelt und nicht alles auf einmal erreichen will. Dann kann man sich langsam dran gewöhnen und empfindet es dann nicht mehr als Verzicht, sondern als Bereicherung und Inspiration.

Wenn du all das, was du bereits hast, sofort durch Nachhaltiges ersetzen willst, wird es vielleicht schwierig.

Anina Mutter

Beruflich könntet ihr nicht unterschiedlicher unterwegs sein. Wie integriert ihr Nachhaltigkeit in euren beruflichen Alltag?

Sandra: Zunächst mal fahre ich natürlich meine Zustelltouren mit dem DXP. Der verfügt ja über einen batteriebetriebenen Antrieb. Dann wurde auch meine Idee, Karton und Altpapier zu trennen, bei uns in der Zustellstelle umgesetzt. Auch Plastik wird bei uns nun getrennt gesammelt. Das Tor unserer Zustellstelle muss immer offen sein, damit wir jederzeit rein- und rausfahren können. Da das eine Tor gegenüber eines Arbeitsplatztes ist, gab es immer kalte Beine vom Durchzug. Also habe ich eine Platte aus Altholz als Abschirmung angebracht, damit meine Mitarbeitenden sich nicht erkälten. Ausserdem haben wir nun überall LED-Beleuchtung. Wenn das nicht sowie so passiert wäre, hätte ich auch dort noch etwas angestossen.

Anina: Ich finde es super, dass du aus eigenem Antrieb nachhaltige Anstösse gibst.

Nachhaltig Leben ist ja eigentlich in dem Sinne auch mein Job. Ich möchte den Dialog dazu anstossen. Indem, dass ich meinen Alltag und meine Erkenntnisse teile, inspiriere und unterstütze ich hoffentlich ganz viele andere Menschen dabei, ihr eigenes Leben ein wenig nachhaltiger zu gestalten. Ich möchte zeigen, dass ein nachhaltiges Leben weder uncool noch unstylisch sein muss, sondern dass es mega Spass machen kann.

Anina im seitlichen Profil. Sie ist raungebrannt, trägt schwarze Kleider. Ihre rückenlangen dunkelbraunen Haare hat sie zu einem Rossschwanz gebunden. Ihre Locken fallen ihr über die Schulter.

Wo seht ihr noch Verbesserungspotenzial? Welche Projekte stehen bei euch als nächstes an?

Sandra: Plastik einsammeln! Entsorgung und Recycling Zürich hatte ein Pilotprojekt in Schwamendingen, bei dem an den Glassammelstellen auch Plastikmüll abgeholt wurde. Das fand ich sehr gut. Da haben auch wirklich viele Leute mitgemacht. Das hat richtig Spass gemacht. Und vielleicht bringe ich ja auch noch meinen Mann dazu, dass wir keine PET-Flaschen mehr kaufen, sondern eine andere Lösung für sein Bedürfnis nach kohlensäurehaltigem Wasser finden.

Anina: Ich würde gern noch mehr Menschen ansprechen und sie dazu inspirieren, ihr Leben bewusster zu gestalten. Ich denke, wir wissen alle, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben im Bereich der Nachhaltigkeit und dass es höchste Zeit ist, dass auf ganz vielen Ebenen ein Umdenken stattfindet. Ein ganz einfacher und wichtiger Schritt, der überhaupt nicht viel Mühe kostet, ist es, die richtigen Menschen in politische Positionen zu wählen, wo sie bewusste und nachhaltige Veränderungen bewirken können.

Und wie empfindet ihr das jetzt mit der Pandemie? War das Bewusstsein für Nachhaltigkeit davor grösser und wurde nun verdrängt?

Anina: Ich würde nicht sagen, dass die Pandemie unser Bewusstsein für unsere Umwelt kaputt gemacht hat. Ich denke eher, dass das Bewusstsein gewachsen ist, weil sie ja auch aufzeigt, dass irgendwas nicht funktioniert. Durch meine Arbeit bin ich ja sozusagen eine Art Schnittstelle zwischen Konsumentinnen und Konsumenten und Firmen und beobachte deren Entwicklung im Bereich Nachhaltigkeit in meinem beruflichen Alltag.  Und ich finde, dass gerade auf Unternehmensseite recht viel passiert. Die Post hat sich ja auch sehr ehrgeizige Ziele gesteckt, was ich mega cool finde. Wichtig ist natürlich auch, dass die Unternehmen das dann auch ernst meinen und nicht nur Greenwashing betreiben. Das denke ich von der Post allerdings nicht. Aber ja, es gibt auf jeden noch sehr, sehr viel zu tun und da muss auch noch viel mehr passieren.

Wo seht ihr euch in zehn Jahren?

Sandra: Immer noch auf dem DXP, vielleicht anders und noch besser. Er ist jetzt schon toll, die Transportboxen sind auch gut. Für den Anhänger würde ich mir einen Boden wünschen, der hochfährt, damit die Arbeit für den Rücken leichter wird.

Anina: Ich werde wohl immer in irgendeiner Art und Weise engagiert sein und Position beziehen. Aber vielleicht mache ich das in 10 Jahren als Permakultur-Gärtnerin.

Wir haben am Beispiel der Pandemie gesehen, wie viele Ressourcen vorhanden sind, um globale Probleme anzupacken. Genauso sollte auch mit der Klimakrise umgegangen werden.

Anina Mutter

Und die Gesellschaft? 

Sandra: Ich hoffe sehr, dass wir als Gesellschaft wesentlich weiter sind als heute. Es müssen ja nicht alle auf Elektroantriebe umsteigen oder plötzlich vegan leben, da hängen ja auch Arbeitsplätze dran. Aber es muss irgendwie ausgeglichen sein.

Anina: Eine Prognose für die Gesellschaft zu stellen, finde ich schwierig. Ich habe den Wunsch und auch die Hoffnung, dass ein Umdenken stattfindet und die Dringlichkeit der Klimakrise sowohl politisch, aber auch privat als Krise gehandhabt wird. Wir haben am Beispiel der Pandemie gesehen, wie viele Ressourcen vorhanden sind, um globale Probleme anzupacken. Genauso sollte auch mit der Klimakrise umgegangen werden. Passiert das nicht, haben wir irgendwann, hoffentlich, keine Pandemie mehr, aber auch keinen bewohnbaren Planeten mehr. Trotzdem glaube ich, dass Pessimismus nicht hilfreich ist und versuche dementsprechend auch selber hoffnungsvoll und optimistisch zu bleiben. Wenn wir selber positiv unterwegs sind, überträgt sich das auch auf unser Umfeld und so können wir sicher mehr erreichen, als wenn wir verzweifeln, den Kopf in den Sand stecken und gar nichts tun.