Innovatives Batterierecyling für Post-Elektroroller

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Nachhaltigkeit Innovatives Batterierecyling für Post-Elektroroller

Publiziert am 24.11.2022

Rund 6000 Elektroroller sind für die Post in der Zustellung unterwegs. Doch was wird bei deren End of Life geschehen? Hersteller Kyburz Switzerland AG sieht ein MultiLife-Konzept inklusive eines verblüffenden Batterierecyclingverfahrens vor. Was dahintersteckt, verrät der Entwickler Olivier Groux im Interview.

Von links nach rechts: Neufahrzeug, SecondLife-Fahrzeug, Energiespeicher
Das MultiLife-Konzept von Kyburz: Die Werkstoffe werden gemäss der Idee der Kreislaufwirtschaft so lange wie möglich im Umlauf gehalten. Die Batterien durchlaufen drei Leben, bevor sie recycelt werden. Von links nach rechts: Neufahrzeug, SecondLife-Fahrzeug, Energiespeicher.

Die Schweizerische Post stellt Briefe und einen Teil der Pakete seit 2009 mit rund 6000 dreirädrigen Elektrorollern der Firma Kyburz zu. Seit 2016 werden sämtliche Roller ausschliesslich elektrisch angetrieben. Die Lithium-Ionen-Batterien dieser Roller sind kobaltfrei und werden mit Ökostrom aufgeladen. Sind die Batterien einmal nicht mehr verwendbar, schliesst Kyburz mit einem revolutionären Recyclingverfahren den Batteriekreislauf. Damit wird zur Erreichung des Klima- und Energieziels der Post künftig auch ein wichtiger Beitrag in der Wertschöpfungskette geleistet.

Herr Groux, das von der Industrie betriebene herkömmliche Batterierecycling ist aufwändig und energieintensiv. Sie haben eine innovative Recyclingmethode entwickelt. Wie fügt sich diese in die Nachhaltigkeit bei Kyburz ein?

Die E-Roller erreichen nach acht bis neun Jahren ihr End of Life. Dann kaufen wir sie zurück und bereiten sie für einen zweiten Einsatz durch Private oder Postbetriebe im Ausland vor. Ist die Speicherkapazität der Lithium-Ionen-Batterien noch hoch genug, verwenden wir die Akkus für ein Second-Life-Fahrzeug. Solche mit niedrigerer Speicherkapazität können für Energiespeichersysteme, beispielsweise für Photovoltaik, eingesetzt werden. Nicht mehr brauchbare Akkuzellen nehmen wir in unser umweltfreundliches Inhouse Recycling. Mit diesem MultiLife-Konzept reduzieren wir über alles gerechnet die CO2-Emissionen und die graue Energie um 70 Prozent.

Wie kam es zu diesem revolutionären Verfahren?

Martin Kyburz suchte nach einem nachhaltigen Recyclingverfahren und war dafür mit der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa) in Kontakt. Diese meldete ihm wenig später zurück, ein Student der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) sei interessiert, seine Bachelorarbeit über Lithium-Ionen-Batterien zu schreiben. Ich hatte bereits eine Semesterarbeit über Second-Life-Batterien geschrieben und im eigenen Keller Batterien geöffnet und zerlegt. In meiner Bachelorarbeit befasste ich mich dann als gelernter Chemielaborant mit der Zerteilung von Lithium-Ionen-Batterien. In der Literatur war nirgends die Rede von Wasser als Lösungsmittel. Ich wollte es damit versuchen und integrierte Wasser in einer langen Versuchsreihe. Und siehe da: Die Auflösung der Bestandteile klappte damit sehr gut.

Schliesslich hat mich Martin Kyburz angestellt, um eine Recyclinganlage zu entwickeln. Im Jahr 2020 konnten wir diese eröffnen, und seit August 2022 haben wir dafür die Betriebsbewilligung des Amtes für Abfall, Wasser, Energie und Luft des Kanton Zürich (AWEL).

Wie hat Kyburz Batterien bisher recycelt?

Bisher übergaben wir die Akkus in speziellen Inobat-Fässern der Firma Batrec für das Recycling. Früher wurden die Lithium-Ionen-Batterien verbrannt, heute werden sie in einem mehrwöchigen Salzwasserbad vollständig entladen und anschliessend unter Wasser geschreddert. Der Elektrolyt wird ausgewaschen, das Plastik, das Kupfer und das Aluminium werden herausgetrennt. Die verbleibende Schwarzmasse wird dann im Ausland behandelt. Dieser Prozess ist lang, frisst viel Energie und verursacht CO2-Emissionen.

Olivier Groux (links), Leiter Batterierecycling, und Martin Kyburz (rechts), CEO und Gründer der Kyburz Switzerland AG
Olivier Groux (links), Leiter Batterierecycling, und Martin Kyburz (rechts), CEO und Gründer der Kyburz Switzerland AG, sind stolz auf das revolutionäre Recyclingverfahren.

Wie funktioniert das neuartige Recyclingverfahren?

Unser neues Verfahren ist dagegen umweltfreundlich, benötigt wesentlich weniger Energie und ist kürzer. Wir behandeln die Batterien vor, ohne sie zu schreddern. Zunächst entladen wir die Batterien auf zwei Volt. Dann werden auf einer Anlage, die wir mit Solarenergie betreiben, die Zellen der Batterien zersägt und in ihre Einzelteile – Anode, Kathode und Separator – zerlegt. Anschliessend bearbeiten wir Anode und Kathode weiter mit Wasser und trennen sie in ihre Einzelteile auf. Auch diesen Prozess wollen wir in Zukunft automatisieren.

In welchem Umfang können Sie einen Akku recyceln?

Heute schaffen wir es, mindestens 91 Prozent der ganzen Batterie wiederzuverwerten, samt dem Gehäuse und den gesamten festen Materialien Aluminium, Kupfer, Graphit und Metalloxid, wo das Lithium drinsteckt. Die restlichen neun Prozent bestehen aus dem Elektrolyten. Diesen filtern wir heute, wollen ihn aber künftig auch recyceln. Vor zwei Monaten haben wir mit der Empa eine neue Batterie zusammengemischt, deren Qualität sehr rein ist, wodurch der Kreislauf geschlossen werden konnte. Dadurch sind wir in Zukunft für die Neubeschaffung von Materialien nicht vom Ausland abhängig und nicht mehr mitverantwortlich für die negativen Folgen des Rohstoffabbaus.

Laut der SRF-Doku-Sendung «Einstein» vom Mai 2021 hat Kyburz kein Patent auf das Verfahren. Weshalb nicht?

Es ist allen bewusst, dass nicht Schreddern, sondern das Zerteilen in die Bestandteile die Lösung ist. Doch wurde eine neue Recyclingtechnologie erst gegen das Jahr 2030 erwartet, wenn der Batterierücklauf genügend gross ist. Auf das Verfahren hat Kyburz bewusst kein Patent, denn wir sind für freies Wissen, um die Entwicklung zu fördern.

Wie ist das Echo, seit Sie im August 2022 das neue Recyclingverfahren bekannt machten?

Das Echo ist stark und es zeichnen sich vielversprechende Partnerschaften mit Firmen in Europa und darüber hinaus ab. Die richtige Partnerwahl ist jedoch eine Hausforderung für uns, denn nicht alle Angebote decken sich mit unserer Philosophie. Es wären unterschiedliche Partnerschaften möglich, sei es mit Kunden, die Batterien nutzen bzw. selbst Batterien einsetzen und das Verfahren nutzen wollen, oder sei es mit Anlageherstellern, die sich allgemein dafür interessieren.

Maschinelles Auftrennen der Elektrodenpakete in Kathode, Anode und Separator in der von Kyburz und Welthaupt entwickelten Recyclinganlage am Hauptsitz der Firma in Freienstein
Maschinelles Auftrennen der Elektrodenpakete in Kathode, Anode und Separator in der von Kyburz und Welthaupt entwickelten Recyclinganlage am Hauptsitz der Firma in Freienstein.

Was plant Kyburz künftig mit Ihrem Verfahren?

Das Verfahren sieht einfacher aus, als es ist, deshalb entwickeln wir unser Know-how weiter. Aktuell recyceln wir nur eigene Batterien. Als offizieller Recycler wollen wir bis 2024 in der Schweiz jährlich 200 Tonnen recyceln. Ab 2026 planen wir, nach Europa zu expandieren und zwischen 2000 bis 10 000 Tonnen jährlich zu recyceln.

Welche weiteren Entwicklungen sehen Sie beim Batterierecycling? 

Wir arbeiten gerade an zwei sehr spannenden Projekten. Beim einen geht es darum, alle möglichen Chemikalien zu recyceln. Das andere ist der Bau einer Universalschnittmaschine, die neben prismatischen Batterien auch alle anderen Batterien ungeachtet ihrer Form schneiden kann.

Dürfen Ihre Kunden und die Post einen weiteren Nutzen von Kyburz erwarten?

Unser Ziel ist es, für jede Batterie, die wir inhouse recyceln, ein Nachhaltigkeitszertifikat auszustellen. Dieses wird volle Transparenz darüber bieten, wie weit die Batterie recycelt wurde und was mit den Stoffen passiert. Damit werden Unternehmen und auch die Post die Nachhaltigkeit hinsichtlich Batterien bis zum Schluss nachweisen können.

Erfahren Sie mehr in der SRF-Doku Einstein: Elektroautos in der Schweiz – wie ökologisch sind sie heute?

Kyburz Switzerland AG – nachhaltig und zukunftsgerichtet

Die Kyburz Switzerland AG wurde 1991 von Martin Kyburz gegründet und hat ihren Sitz in Freienstein bei Zürich. Das KMU mit über 180 Mitarbeitenden entwickelt und produziert qualitativ hochstehende Elektrofahrzeuge für Zustell- und Industriebetriebe sowie für Privatpersonen. Weltweit sind über 26 000 Kyburz-Fahrzeuge im Einsatz; das bekannteste Modell, der Kyburz DXP, prägt als Zustellfahrzeug der Post mittlerweile das Schweizer Strassenbild.

Die Gewährleistung von Service und Unterhalt ihrer Produkte hat in der Firma höchste Priorität und stellt gleichzeitig einen wichtigen Geschäftszweig dar. Freude am Entwickeln, Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit im Fokus: Die Kyburz Switzerland AG freut sich auf die Zukunft und kann dabei auf solides Handwerk und langjährige Erfahrung bauen.

Das Klima- und Energieziel der Post strebt die Klimaneutralität sowohl im eigenen Betrieb (bis 2030) als auch in ihrer gesamten Wertschöpfungskette (bis 2040) an. Die Post übernimmt demnach auch Verantwortung dafür, was in ihrer Lieferkette passiert – dazu gehört auch die Herstellung und Entsorgung ihrer Fahrzeuge.

Olivier Groux

Olivier Groux ist gelernter Chemielaborant. Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der ZHAW entdeckte er mehr zufällig den entscheidenden Clou beim Lösen von Aktivmaterial bei Lithium-Ionen-Batterien. Unter Mitwirken der Empa entstand daraus schliesslich ein revolutionäres Recylingverfahren für Akkus. Seit 2020 leitet Olivier Groux die Abteilung Batterien bei Kyburz und engagiert sich mit Herzblut für die Weiterentwicklung des Batterierecyclings. In seiner Freizeit kocht er und lernt gerne neue Kulturen kennen. Grosse Freude macht ihm, mit seinem Dachzelt umherzureisen.

Portrait Olivier Groux