#brutallokal – mehr als ein Hashtag

Sprachnavigation

Media image full width

#brutallokal – mehr als ein Hashtag Wieso Mezze nicht immer aus Nahost sein müssen

Von Nicole Giger – Foodbloggerin von «Mags Frisch»

Jutebeutel und Turnsack, Mini-Sukkulenten-Sammlung auf dem Küchenregal oder Flamingo und Ananas, die sich ein Kopf an Kopf Rennen liefern, für das meistgedruckte Motiv auf Notizbüchern, Handyhüllen oder Badetüchern. So ist das mit Trends. Heute der letzte Schrei, morgen Schnee von gestern. Die Tage der Ananas sind jedenfalls angezählt, sie hat ihren Höhenpunkt bereits hinter sich. Gerade halten wir Ausschau nach Mom Jeans, Manchester und Momos. Ja, Momos sind in aller Munde. Tacos ebenfalls. Exquisit sind sie beide. Auch Food Trends kommen und gehen. Poké Bowls, Avo-Hysterie und Chia-Welle, was wir nicht schon alles hatten. Bei #brutallokal ist das anders.

#brutallokal ist mehr als ein Hashtag – und mehr als ein Foodtrend. Lokal essen ist ökologisch, gesund und sinnstiftend. Ökologisch, weil lange Transportwege gespart werden. Gesund, weil man bewusst saisonal und biologisch einkaufen und Herkunft sowie Produktion zurückverfolgen kann. Sinnstiftend, weil man zur Förderung der Landwirtschaft vor Ort beiträgt, Beziehungen zu Bauern aufbaut  und die Geschichten hinter den Produkten mitbekommt. Zudem, wer lokale Produkte kauft, kann sich den Saisonkalender sparen, denn was zu haben ist, hat auch Saison.

  • Wochenmarkt, Hofladen und Sammel-Lust

    Der einfachste Weg, um an lokale Produkte zu kommen, ist der Wochenmarkt. Zweimal die Woche besuche ich den Markt in Zürich Oerlikon, der direkt vor meinem Zuhause stattfindet. Wenn ich morgens um 6 Uhr das erste Mal aufwache, höre ich die Marktfahrer bereits ihre Tische aufstellen, Kisten voll von Gemüse werden aus den Lastwagen gehieft, Preisschildchen montiert und Blachen befestigt. Ich verspüre Vorfreude. Vorfreude auf den bevorstehenden Marktbesuch, aufs Einkaufen und Plaudern. Die Bauern kommen aus Seebach oder Dänikon, von Rümlang, Boppelsen oder Bachs. Alles in der Nähe, alles brutal lokal.

Natürlich gibt’s auch Stände, die zukaufen, das ist legitim, sollte aber beachtet werden, wenn man lokale Produkte will. Der Bauer aus Seebach fährt immer mit dem Traktor vor, hinter der Theke die gesamte Familie. Rosenkohl, Federkohl, Kabisköpfe so gross wie im Balkan und noch ungewaschene, wunderschöne Kartoffeln. Das Sortiment unterliegt keinen Trends, sondern bloss der Saison. Das Angebot verändert mit den Jahreszeiten seine Fülle und Farbe. Während die Auslage im Winter oft in grün und weiss gehalten ist, erstrahlt sie im Sommer beerenfarben, rot und gelb. Mit Bauern kannst du immer übers Wetter reden, aber längst nicht nur.

Manchmal verraten sie dir Verwendungstipps für ihren Quittensaft, überzeugen dich von den süssesten Zwetschgen in ihrem Angebot oder offerieren die reifen, zwar leicht angeschlagenen, aber umso vollmundigeren Tomaten fürs Sugo zu einem Spezialpreis. Persönlich Gespräche, Insider-Wissen vom Feinsten und eine wunderbare Ausbeute machen den Marktbesuch immer und immer wieder zu einem Erlebnis. Und das gleich vor der Haustür.

Wenn Produkte Geschichten erzählen

Wer es noch direkter mag, der wirft sich aufs Fahrrad und radelt zum nächsten Hofladen. Auch in der Stadt Zürich sind diese keine Seltenheit – und wenn nicht hier, dann wohl nirgendwo sonst in unserem Land. Nach einer kurzen Velofahrt in Richtung Seebach komme ich auf dem Riedenholzhof an. Das ist ein einladender, gut gepflegter Bio Hof, geführt von einer stets freundlichen Bauersfamilie. Im Sommer lässt es sich hier ‘beerlen’ oder Bohnen lesen und das ganze Jahr hindurch versorgt der Hofladen mit knackigstem Gemüse und Früchten, eigenen Milchprodukten und frischem Fleisch. Der Hof hat sich spezialisiert auf Büffelmilch-Produkte und verkauft nicht nur Büffelrohmilch, sondern auch Büffelmilch-Feta, Camembert oder Mozzarella. Sagenhaft lecker.

Finde einen Bauer in deiner Nähe:

Angebotssuche

Wäre mein Fahrradkörbchen nicht schon übervoll, radelte ich etwas schneller zum nächsten Hof. Der Waidhof in Zürich Affoltern ist ebenfalls biozertifiziert, hält Milchkühe, Schweine, Hühner, Kälber und Bienenvölker. Ab und zu komme ich hierher, um am Milchautomaten frische Rohmilch herauszulassen. Auch im Hofladen gibt’s vielerlei Delikatessen und nebst eigenem Obst, auch Eier, Honig und Hirse. Als ich das letzte Mal meine Thermosflasche mit frischer Milch füllte, kam gerade der Bauer mit einem Kessel voll gelber Milch ums Eck. Wieso er diese den Sauen gebe und vor allem, weshalb diese Farbe, waren meine Fragen. Er erklärte mir, die Milch sei von einer Kuh, die soeben gekalbert habe, also eben erst ein Kalb geboren.

Diese Milch, auch Kolostrum genannt, sei viel reichhaltiger, nahrhafter, aber kaum gefragt. Daher würden seine Schweine in deren Genuss kommen, nicht aber die Milchautomaten-Pilger. Ich erinnere mich an Finnland, wo ein Käse, der Leipäjuusto aus eben genau dieser Kolostrum-Milch eine Spezialität ist. Das ist typisch für einen Besuch auf dem Hof. Irgendwas lerne ich immer dazu, mit irgendeiner Geschichte fahre ich gut gelaunt und noch besser beladen heimwärts.

Bier & Wurst

Im Hofladens des Waidhof decke ich mich regelmässig mit Würsten ein. Nicht mit irgendwelchen, sondern mit dem Stadtjäger von Mika. Mika produziert seine Würste in Oerlikon, keine 500m von mir entfernt. Immer Donnerstag macht er einen Rampenverkauf – anderntags sind die Produkte in ausgewählten, kleinen Feinkostgeschäften zu haben, oder eben dem Hofladen des bereits vorgestellten Waidhofes. Und wieder drängt sich eine Geschichte auf.

Mika produziert in Oerlikon, im elften Kreis von Zürich. Das Fleisch für seine Würste holt er bei besagtem Waidhof in Affoltern, ebenfalls im Kreis 11. Die Schweine vom Waidhof bekommen zum Essen immer wieder Treber vorgesetzt, das Malz das beim Bierbrauen übrig bleibt. Dieser Treber kommt von Dani, der ebenfalls im 11i , das stadtbekannte Oerliker Bier braut. Wenn das mal kein brutal lokaler Kreislauf ist. Dass Dani und Mika ihre Würste essen, ihr Bier auch ganz gerne mal zusammen geniessen, macht aus dieser lokalen Geschichte, noch dazu eine richtig schöne.

Quitten aus der Nachbarschaft

Hofläden und Marktbesuche sind das eine, selber aktiv werden das andere. Die hiesigen Wälder sind im Herbst voller Pilze, im Sommer gibt’s mitten in der Stadt üppiger Holunder, vielerlei Wildkräuter oder essbare Blüten - die Natur hat auch in städtischer Umgebung vieles zu bieten. Aus Tannenschösslingen lässt sich eine Art Honig machen und mit Löwenzahn oder Flieder Sirup und Tee. Auf meiner Jogging-Route renne ich immer wieder durch den alten Dorfkern vom Schwamendingen, ebenfalls in Zürich, aber diesmal Kreis 12.

Im Herbst sind die Quittenbäume in den Gärten stolz bestückt mit kleinen, wunderschön pelzigen Früchten. Die Besitzer eines ebensolchen Quittenbaumes haben die Früchte abgelesen und sie in eine Waschzaine vor das Gartentürchen gestellt. Auf einem A4 Blatt stand geschrieben: zum Mitnehmen. Joggen hin oder her, füllte ich mir eine Tüte, die ebenfalls beigelegt wurde, und rannte beseelt und gut bestückt mit einer Vielzahl Quitten heimwärts. Ich kochte Quittenmus, machte Crumble und Kompott. Ein Glas Quittenmus hab ich bei der nächsten Joggingrunde mitgenommen und in den Briefkasten der unbekannten Quitten-Spender gelegt. Sinnstiftend hab ich schon gesagt, oder? Das gehört dann wohl auch in diese Kategorie.

Mezze von nah statt fern

Auf dem Markt Gemüse shoppen, find ich ziemlich grossartig. Noch besser wird’s, wenn die Ausbeute danach zu einem Mezze Schmaus verkocht wird. Als Mezze wird im arabischen, aber auch im türkischen oder persischen Raum die Art des Servierens der Vorspeise in vielen kleinen Schälchen genannt. Die Schälchen werden in der Mitte des Tisches aufgestellt, damit alle gemeinsam daraus essen und sich währenddessen unterhalten können. Sharing is caring eben. Dass eine Mezze Tafel auch ganz ohne Tahina, Granatapfel und Kichererbsen auskommt, beweisen folgende Rezepte. Die lokale Mezze Platte lässt sich natürlich je nach Saison, Vorlieben und Arbeitsaufwand variieren. Die Möglichkeiten sind schier grenzenlos. Das Wichtigste dabei bleibt: Das Teilen. Freunde und Familie einladen, erzählen, zuhören und gemeinsam geniessen.

Rezepte für brutal lokale Mezze